Illustration: Franziska Kuo
Illustration: Franziska Kuo

Zu Gast im Nomadenzelt

Ina und ich wollten im Taurus-Gebirge in Gebieten wandern, die sich weit entfernt vom Massentourismus befinden. Da schien uns die Ala-Dag-Gruppe in der Nähe von Nigde gerade richtig zu sein.
In Ürgüp kauften wir noch fehlenden Proviant ein für unsere geplante Drei-Tage-Wanderung und fuhren bis zum Ort Cuchurbag, von dessen Obstgärten aus die Gipfel des Antitaurus zum Greifen nahe erschienen. Von hier aus wanderten wir in etwa drei Stunden bis zum Fuße des Ala Dag.
Auf diesem Hochplateau weideten Schafe. Weiter oben an einem Hang sahen wir vier Nomadenzelte und in unmittelbarer Nähe plätscherte ein winziger Bach kurvenreich ins Tal. Ein idealer Platz für unser Zeltbasislager, das uns in den nächsten Tagen als Ausgangspunkt für Bergwanderungen dienen sollte.
Wir bauten in der Nähe der Nomadenzelte unser 2-Mann-Zelt auf. Einige Kinder schauten uns dabei neugierig zu. Später standen auch Frauen um uns herum. Sie wollten sehen, wie unser Zelt innen aussieht. Sie blickten hinein und wunderten sich, wie primitiv wir dort hausen mussten.
Wir wollten uns zeitig schlafen legen. Vorher leerten wir aber noch eine Flasche türkischen Weißwein. Obwohl Ina mit mir wegen des Kaufs der drei Flaschen in Ürgüp geschimpft hatte – ich trug ihn schließlich auch – waren wir jetzt beide froh, dass wir ihn hatten.
Nach einer kalten Nacht brachen wir morgens zu einer Tour auf. Einige Nomaden standen bereits am Bach und wuschen sich. Wir nahmen uns in einer Thermosflasche Wasser vom Bergbach mit. Der Himmel war voller Wolken, es sah nach Regen aus. Es gibt in der Türkei keine Berghütten, aber angelegte Wege, so dass man auf ein Zelt angewiesen ist.
Wir marschierten aufwärts. Wie der Berg hieß, der östlich vom Ala Dag vor uns stand, wussten wir nicht, und es war auch nicht so wichtig.
Da im Mai erst die Schneeschmelze eingesetzt hatte und wir Ende Juni unterwegs waren, mussten wir schon bald die ersten Schneefelder überqueren. Die Bergflora ist um diese Zeit am schönsten. Die Wege waren steinig und die Gebirgszüge aus Kalkstein nicht bewaldet. Es begegnete uns bei dieser Wanderung kein Mensch.
Wir hatten es befürchtet, und es wurde wahr: es regnete plötzlich wie aus Kübeln. Der Gipfel war noch weit entfernt. Der Himmel wurde immer dunkler. Wir kehrten um.
Durchnässt – ein Regenumhang half da auch nicht mehr allzu viel – erreichten wir unser kleines Zelt. Wir aßen eine Kleinigkeit und hofften auf besseres Wetter. Es hörte aber nicht auf zu regnen. Den Reißverschluss des Zeltes hatten wir halb geöffnet und sahen, wie uns zwei Nomadenfrauen zuwinkten, zu ihnen ins Zelt zu kommen.
Wir zogen unsere nassen Bergstiefel wieder an und rannten im Regen zu dem oben spitz zulaufenden, unten runden, weißen Zelt. Ein Hirtenhund saß davor. Er hatte ein Stacheldrahtgeflecht um seinen Hals, eine Vorsichtsmaßnahme gegen Wölfe. Nur die Rüden tragen diesen sicher lästigen und unbequemen Stacheldraht, denn die Hündinnen werden von den Wölfen nicht angegriffen.
Wir betraten das Nomadenzelt, in dem man aufrecht stehen konnte, und staunten, wie gemütlich es dort war. In der Mitte war eine Holzstütze angebracht. Am Boden und auf den Betten lagen Teppiche. In dem geräumigen Zelt, das von außen wesentlich kleiner aussah, hausten acht Nomadenfrauen und etliche Kinder, die dann allerdings wie die Heringe schlafen mussten.
Eine Frau, deren Alter wir nicht schätzen konnten und die uns durch ihre raue Gesichtshaut auffiel, reichte uns ein Glas Ayran, einen Trinkjoghurt.
Obwohl in den Reiseführern vor offenem Ayran gewarnt wird, blieb uns hier keine andere Wahl, da wir die Nomaden nicht beleidigen wollten. Wir tranken ihn. Ina schmeckte er sehr gut, mir nicht so, was aber nicht an der Qualität des Ayrans lag. Im Stillen dachte ich bereits an den Durchfall, den wir möglicherweise bekommen würden, der sich aber dann doch nicht einstellte.
Als wir das Glas fast geleert hatten, bekamen wir die gleiche Menge noch mal, obwohl wir abwinkten, aber das half nichts.
Auf den Betten, unter denen Kisten und Schachteln untergebracht waren, lagen die Kinder und blätterten in Bilder- und Schulbüchern. Diese Nomaden waren sesshaft, die Kinder besuchten nur im Winter und Frühling die Schule. Von Mai bis Oktober zogen sie mit ihren Eltern – ähnlich wie unsere Almbauern – ins Gebirge.
Manche Frauen spülten Geschirr, andere strickten. Alle waren fröhlich und lachten. Wir begutachteten die Strickwaren aus Schafswolle. Die Strickweise der Nomaden war anders, als wir sie kannten, sie strickten doppelt, also dicker als bei uns üblich.
Wir kauften ihnen einige Paar Socken ab, die wir auch heute noch gerne anziehen. Durch unser Gelächter wurden die Männer im Nachbarzelt auf uns aufmerksam. Es standen plötzlich zwei Männer vor uns und wollten, dass wir ihr Zelt auch noch besuchen. Einer machte eine typische Handbewegung, der wir entnehmen konnten, dass es bei den Männern Hochprozentiges zu trinken gab.
Es war aber mittlerweile schon spät geworden. So bedankten und verabschiedeten wir uns und krochen in unser kleines Zelt. Bald schliefen wir ein.
In der Nacht wachten wir mehrmals auf. Es regnete wieder recht heftig, der Wind schüttelte unser Zelt, und in weiter Ferne heulten Wölfe. Für uns, die wir das nicht gewohnt waren, ein unheimliches Gefühl.
Als das Wetter am Morgen immer noch schlecht war, beschlossen wir, die Tour abzubrechen, ins Tal zu gehen und von dort aus zur Südküste weiterzufahren. Unsere restlichen zwei Weinflaschen schenkten wir den Männern, die sich sehr darüber freuten. Die Frauen bekamen von uns eine kleine Dose Hautcreme. Schade, dass wir nicht mehr Creme dabeihatten, sie hätten sie so dringend gebraucht.

© by Hermann Bauer