Illustration: Franziska Kuo
Illustration: Franziska Kuo

Zafer und Jenay

Konya, eine türkische Stadt in der Mitte der weiten anatolischen Steppe. Zwei Tage noch, dann müssen Ina und ich wieder zurück in die Heimat fliegen. Fünf Wochen Urlaub in der Türkei waren eine sehr schöne Zeit. Wir fühlen die Aufbruchstimmung, und so steuern wir abends etwas wehmütig ein nettes Lokal in der Innenstadt an. Es ist gut besucht.
Als wir uns umsehen, winkt uns ein Türke, der allein am Tisch Pistazien isst, zu sich heran. Also nehmen wir bei ihm Platz. Wir probieren einige Vorspeisen, bestellen das Hauptgericht, und zum Abschluss essen wir noch eine aufgeschnittene Wassermelone. Diese bieten wir auch dem Türken an unserem Tisch an. Er schiebt seine mittlerweile zweite Portion Pistazien in die Mitte des Tisches und reicht sie uns.
Wir kommen ins Gespräch, was nicht ganz einfach ist, denn er spricht nur Türkisch, kein Deutsch. Lediglich ein englisches Wort beherrscht er: „O.k.“, das ist aber schon alles. Unsere Türkischkenntnisse sind auch nicht gerade überwältigend. Vielleicht sind es zwanzig oder dreißig Wörter, die wir zusammenstottern können.
Der Türke drückt seine flache Hand an die Brust und sagt: „Zafer.“
Ich deute mit dem Zeigefinger auf meine Frau und sage: „Ina“, dann auf mich: „Hermann.“ Anschließend versuchen wir ihm gestenreich klarzumachen, dass wir ein Auto ab Ankara gemietet haben und durch die Osttürkei gefahren sind. Auf der zerknitterten Landkarte zeigen wir ihm die verschiedenen Städte.
Zafer zeigt uns seinen Ausweis, unseren möchte er auch sehen. Er schmunzelt über unsere alten Passfotos, denn heute sehen wir anders aus. Auch interessiert es ihn, wie so ein Flugticket aussieht. Er möchte uns viel mitteilen und bittet den Ober, ihm Papier und einen Bleistift zu bringen. Jetzt funktioniert die Verständigung wesentlich besser. Zafer malt zwei Strichmännchen auf das Papier, ein Männchen bekommt einen Schnurrbart, wie er selbst einen trägt. Darüber schreibt er „Zafer.“ Das andere Strichmännchen mit dem Rock ist seine Frau Jenay. Zwei kleinere sind seine beiden Kinder. Er reicht uns das Papier, und wir zeichnen auch unsere Familie mit Namen darauf.
Zu München fallen Zafer die fünf Ringe der Olympischen Spiele ein. Er zeigt auf das Efes-Bier an unserem Tisch. Ich deute auf meinen Bierbauch und meine, daran sei nur das Bier schuld. Wir lachen alle. Es macht uns einen riesigen Spaß, so eine Konversation zu führen.
Manchmal gibt es auch kleinere Pausen. Dabei schaut Zafer uns mit seinen vertrauensvollen, dunklen Augen lächelnd an. Die Themen unseres Gesprächs reichen von der Politik, wobei er sich sehr vorsichtig äußert, über Sport bis zu Urlaub und Hobbies.
Viele Fragen bleiben natürlich offen, Fragen, die man nicht aufs Papier bringen kann. Zum Beispiel hätte es uns interessiert, welchen Beruf er ausübt und warum er allein in ein Lokal geht, dort auch isst, während seine Frau mit den beiden Kindern das Haus hüten muss.
Mittlerweile ist es spät geworden. Wir möchten gehen. Zafer lädt uns noch ein, zu ihm nach Hause zu kommen. Er möchte, dass wir Jenay und seine Kinder kennen lernen. Es gelingt ihm, uns zu überreden. Vorher gehen wir noch in unser Hotel, holen unseren Fotoapparat und packen einige Geschenke für die Kinder ein. Dann setzen wir uns in ein Taxi, fahren ungefähr zehn Minuten, bis wir zu einer typischen Wohngegend kommen. Im zweiten Stock eines gepflegten Hauses wohnt Zafer mit seiner Familie.
Da er keinen Schlüssel zur Wohnung bei sich hat, läutet er. Jenay öffnet kurz die Tür, erschrickt offensichtlich, als sie uns alle erblickt, und schließt sofort wieder. Erst als Zafer zu ihr spricht, öffnet sie uns. Besuch um diese Zeit kommt sicher nicht so häufig vor.
Die Kinder sind noch wach und sehen uns neugierig an. Zafer zeigt uns seine 3-Zimmer-Wohnung.
Als wir ins Wohnzimmer kommen, steht schon der Tee bereit, den uns Jenay inzwischen gekocht hat.
Zafer und Jenay zeigen uns ihre Hochzeitsbilder. Wir unterhalten uns, verstehen zwar das meiste nicht, lachen aber trotzdem viel. Es macht uns allen Spaß. Wir wechseln noch unsere Adressen, trinken einige Gläser Tee und wollen uns nach etwa einer Stunde verabschieden.
Jenay packt uns Obst für unsere Reise ein und wir umarmen uns.
In Deutschland angekommen, schicken wir der Familie die Fotoabzüge, die wir von unseren Gästen in der Wohnung geknipst haben. Zum Jahreswechsel bekommen wir eine Postkarte von Jenay und Zafer, fünf oder sechs Zeilen, die wir von einer Türkin, die in unserem Nachbarhaus wohnt, übersetzen lassen.
Unsere eindrucksvollen Erlebnisse in der Türkei und mit ihren Einwohnern haben gezeigt, dass die Verständigung zwischen Völkern nicht eine Sache der perfekten Sprachbeherrschung ist. Viel wichtiger sind die entgegengebrachte Sympathie, Zuneigung und Toleranz, die die Menschen zueinander führt.

© by Hermann Bauer